Wo steht die Wiege der ersten Spielzeugindianer?

Es ist die ewige Suche nach der Antwort auf die Frage: Wo liegt der Ursprung?

Nehmen wir als Beispiel einfach mal Thüringen und das Erzgebirge. Beides waren und sind große Spielzeugzentren mit einer traditionsreichen Vergangenheit. Fakt ist doch beispielsweise, dass man Räuchermann und Nussknacker gemeinhin zuerst mit dem Erzgebirge in Verbindung bringt. Beider Wurzeln aber liegen eindeutig in Thüringen. Die Masse-Indianer scheinen dagegen eine eindeutige Domäne der Thüringer Spielzeugmacher zu sein. Oder dreht sich da vielleicht auch der Spieß um?

Im Falle der Spielzeug-Indianer als Aufstellfiguren schien die Frage eigentlich bisher geklärt.  Bereits im ersten Band seiner Katalogreihe "Masse Wild-West-Figuren und Zubehör"  im Jahr 2008 offerierte der Autor Thomas Finck interessante Aufstellfiguren aus Masse mit beweglichen Armen. Die ältesten heute bekannten Wild-West-Figuren aus Masse, so Finck, fänden sich in einem Händler-Katalog um 1910 der Grossisten Ullmann-Engelmann und stammen von einem Sonneberger Hersteller. Die Abbildung im Katalog zeigt acht Indianer in einem Karton, dem noch drei Bäume bzw. Palmen beigelegt wurden. Thomas Finck hat zudem das Glück, in seiner umfangreichen Sammlung Belegexemplare dieser äußerst seltenen Figuren zu haben. Aber sind es wirklich die ersten Indianer-Aufstellfiguren?

Ich hatte da so meine Zweifel und machte mich auf die Suche nach alten Spielzeug-Musterbüchern. Im Museum von Most (Brüx) in Tschechien existiert zum Beispiel ein altes Musterbuch des Verlegers Köhler. Aber da wurde ich ebenso wenig fündig wie im Erzgebirgischen Spielzeugmuseum Seiffen. Hier gibt es ein Musterbuch von Stratmann & Joachim, um 1880, aus Sonneberg und ein erzgebirgisches Musterbuch der Spielzeugverlagsgesellschaft C.-H. Müller & Söhne, Olbernhau, ebenfalls aus dieser Zeit. Fehlanzeige. Erst der Tipp eines Spezialisten für erzgebirgische Massefiguren brachte mich auf die richtige Fährte. Im Museum der Stadt Olbernhau existieren zwei Bände der "Spielwaaren-Fabrik von V. A. Grundmann", in der Indianer abgebildet sein sollen. Immerhin, der Katalog wird auf 1870 datiert. Das wären gut 40 Jahre Vorsprung im "Kampf" zwischen Thüringen und Erzgebirge. 

Und tatsächlich: In Band 2 des Olbernhauer Musterbuches ist eine ganze Seite dem Indianerthema gewidmet. Das "Indianer-Dorf" mit der Artikelnummer 747 besteht aus acht Figuren, einem Häuptlingszelt und zwei kleineren Zelten, Bäumen bzw. Palmen sowie sechs unterschiedlichen Hütten. Eine kleine Sensation (auch wenn der Fakt unter Erzgebirgsexperten bereits allgemein bekannt war).

Leider gibt es keine Größenangaben zu diesem Spielzeug. Die Illustratoren dieser Zeit haben es beim Zeichnen oft auch nicht so genau genommen mit den Größenverhältnissen. Außerdem sagt uns das Buch auch nicht, aus welchem Material die Sachen waren, so dass wir auf Mutmaßungen angewiesen sind.

Die Figuren sind mit hoher Wahrscheinlichkeit gedrückte Massefiguren, der Sockel (der Erzgebirger sagt "Pritschl" dazu) scheint gedrechselt aus Holz. Wie auch im 20. Jahrhundert, so hatten auch die früheren Spielzeugmacher jeder ihr eigenes Teigrezept. Oft wurde Brotteig verwendet, eine Mischung aus Roggenmehl (aus Kostengründen verwendete man auch das Kehrmehl aus Bäckerei oder Mühle), Knochenleim und anderen Zusätzen.

Die kurzen Hosen sind sicher gemalt, die Umhänge - ähnlich wie bei Krippenfiguren - aus bunten Papier ausgeschnitten und angeklebt. Die Höhe der Figuren sollte etwa zwischen acht und zehn Zentimetern gelegen haben.

Einfacher ist die Frage nach den Bäumen. Die kennt im Erzgebirge jeder. Die drei kegelförmigen Bäume sind gedrechselte, gestochene Spanbäume. Die Palmen sind aus Spanplättchen zusammengesetzt.

Das sehr dekorative Häuptlingszelt und die beiden kleineren sind sicherlich aus Pappe. Die Hütten könnten dagegen aus Holz oder aber ebenfalls aus Pappe sein. Leider gibt es im Museum keine Belegexemplare zu diesem Indianerdorf.

Als Aufstellfiguren haben aber somit die Indianer aus dem Erzgebirge eindeutig die Nase vorn.

 

Vorerst vielleicht nur? Die Reise in die Vergangenheit der Spielzeug-Indianer geht weiter. Und ich kann Ihnen schon jetzt versprechen, sie bleibt spannend!

Thomas Fiedler

Spielzeugmuseum Görlitz

Ausschnitt aus der Musterbuch-Seite von 1870